Wunsch und Wirklichkeit

Papier ist geduldig. Man kann alles darauf schreiben und zeichnen. Beispiele gefällig? Sehen Sie sich die Abbildungen oben genau an. Das Gestell mit den rotierenden Hämmern ist übrigens ein sogenanntes Perpetuum mobile.

Darin sollen sich die Beispiele auf dieser Seite nicht erschöpfen. Vielmehr soll es hier um Kritik an der 'modernen Finanztheorie' gehen, deren bedingungslose Übernahme durch die Geldinstitute und die daraus resultierende Krise der Finanzmärkte, die Steuerzahler viele Milliarden Euro kosten wird.

Random Walk?

Der sogenannte Zufallspfad (englisch: random walk) ist noch immer das vorherrschende Modell der Finanztheorie für die Kursentwicklungen an den Börsen. Daraus folgt, dass die einzelnen Erträge nicht vorhersehbar, voneinander unabhängig und näherungsweise normalverteilt sind. Wenn dies eine wissenschaftliche Theorie sein soll und nicht nur ein Glaubenssatz, dann darf, ja, muss man strenge Maßstäbe anlegen. Eine Wissenschaft muss Aussagen rational begründen und diese Aussagen müssen überprüfbar sein. Benoit Mandelbrot, den viele vielleicht von seinem Buch:'Die fraktale Geometrie der Natur',(1982), oder durch die sogenannte 'Mandelbrot Menge', das 'Apfelmännchen', kennen, hat in seinem Buch: 'Fraktale und Finanzen'(2005), einige Daten zusammen getragen, die an der Wissenschaftlichkeit der genannten Theorie zweifeln lassen.

Unwahrscheinliches

Mandelbrot untersuchte die täglichen Indexänderungen des amerikanischen Dow Jones Aktienindex in der Zeit von 1916 bis 2003. Er fand, dass extreme Marktbewegungen viel häufiger waren, als nach der Theorie zu erwarten. Gemäss Theorie sollte der Index im angegebenen Zeitraum an 58 Tagen Schwankungen von mehr als 3,4% aufweisen, tatsächlich geschah dies aber an 1001 Tagen. Schwankungen von mehr als 4,5% sollten nur an 6 Tagen auftreten, aber sie wurden an 366 Tagen beobachtet. Marktbewegungen von mehr als 7% sollten nur einmal in 300.000 Jahren vorkommen, aber allein im 20. Jahrhundert gab es davon 48 Stück.

Unmögliches

Dass diese Ereignisse so unerwartet oft geschehen, wirft die Risikoberechnung der Banken bereits über den Haufen, aber noch verheerender ist, dass diese starken Schwankungen auch noch geballt auftreten, oder es treten einzelne dermaßen starke Bewegungen auf, dass sie nach der Theorie praktisch unmöglich sind. So geschehen am 19. Oktober 1987, als der Dow Jones Index um 29% einbrach. Die Wahrscheinlichkeit dafür? Einmal in 10 hoch 50 Handelstagen. Unser Universum, vom Urknall an gerechnet, ist aber gerade 10 hoch 12 Handelstage alt. Im August 1998, während der Finanzkrise in Asien und Russland, sackte der Index innerhalb eines Monats drei Mal stark (-3,5%, -4,4% und -6,8%). Die Wahrscheinlichkeit für diese Häufung beträgt 1:500 Milliarden. Im Juli 2002 nach dem Platzen der dot.com Spekulationsblase gab es drei starke Abstürze innerhalb von sieben Handelstagen. Die Wahrscheinlichkeit dafür beträgt 1:4 Billionen.

In den vorhergehenden Abschnitten wurden nur einige Beispiele angegeben. Der interessierte Leser sei auf die Seite www.misbehaviorofmarkets.com verwiesen. Auch beschränken sich die Fehleinschätzungen der Theorie nicht nur auf Märkte in Amerika. Der Autor dieser Zeilen hat vergleichbare Irrtümer beim Deutschen Aktienindex DAX und beim Swiss Major Index SMI, nachgewiesen, siehe dazu Verluste, auf der Seite 'Publikationen'. Ebenso findet man starke Abweichungen von der Theorie auf den Devisenmärkten und zwar nicht nur bei unbedeutenden Nebenwährungen, sondern bei den Währungspaaren US-$/Euro, US-$/Yen und Euro/Yen, von denen täglich Beträge im Wert von Billionen US-Dollar umgesetzt werden.

Finanz-Ideologie

Alle oben geschilderten Hinweise auf das Versagen der Finanztheorie haben nicht vermocht, die Theorie an den Tatsachen auszurichten und sie, was konsequent wäre, von Grund auf neu zu entwickeln. Aber man tat nichts dergleichen. Das lässt nur den einen Schluss zu, dass es sich bei der sogenannten Finanzwissenschaft gar nicht nicht um eine Wissenschaft im Wortsinne handelt. Wer Ideen und Glaubenssätzen einen höheren Rang einräumt, als den Tatsachen, der betreibt keine Wissenschaft, sondern ist ein Ideologe, vielleicht auch ein Theologe. So ist man sehenden Auges in die große Finanzkrise gesteuert, die dem Hypotheken-Debakel in den U.S.A folgte. Die Marktschwankungen waren noch stärker als vorher und betrafen die Aktienmärkte, die Devisen- und Rohstoffmärkte weltweit und gleichzeitig, mit dem vorläufigen Ergebnis, dass sich weltweit mehr als zwei Billionen Euro Anlagekapital in Luft aufgelöst haben.

Finanz-Praxis

Bankiers (Banker) sind Geschäftsleute und im Gegensatz zu Professoren der 'Finanzwissenschaft', nicht einer Lehrmeinung verpflichtet, sondern den Eigentümern ihres Unternehmens, also meist Aktionären sowie ihren Kunden. Bankmitarbeiter dürfen und sollten pragmatisch sein. Es steht ihnen frei, die Lehrmeinung zu verwerfen, wenn sie sich als falsch erwiesen hat und dazu gibt und gab es genügend Gründe. Sie können sich auch nicht damit herausreden, davon nichts gewusst zu haben; denn die Daten waren öffentlich und wenn jemand Einblick in die Finanzdaten hat, dann sind es die Banken. Sie hätten es nicht nur wissen können, sondern wissen müssen, was auf den Finanzmärkten, ihrem Fachgebiet, wirklich geschieht. Was werden die Kunden denken, wenn sie erkennen, dass sie ihre Vermögen einem Haufen hoffnungslos überbezahlter Ignoranten anvertraut haben? Der ECONOMIST, das wöchentliche englische Finanzmagazin der Financial Times Group, hat eine klare Meinung zu den Fähigkeiten der Bankmanager. In ihrer Ausgabe für den 12.-19.Okt.2009 heißt es dort, die meisten seien nutzlos.

Econophysics

Auf Deutsch sagt man Ökonophysik oder Wirtschaftsphysik. Dies ist die Wortschöpfung von Benoit Mandelbrot für eine neue Forschungsrichtung in der Welt der Finanzen. Der Begriff Physik soll zeigen, dass es dabei um exakte Wissenschaft geht. Die Physik ist schließlich auch der Wissenschaftszweig, in dem viele Grundlagen für die Theorie komplexer dynamischer Systeme, meist kurz 'Chaostheorie' genannt, erarbeitet wurden. Prinzipiell ließen sich beispielsweise Marktschwankungen im Rahmen der Schwingungslehre untersuchen. Diese ist ein Teilgebiet der Mechanik, die wiederum das Kerngebiet der klassischen Physik darstellt. Tatsächlich ist die chaotische Dynamik eines extern angeregten Pendels der Dynamik von Finanzmarkt-Schwankungen recht ähnlich, wie im Buch des Autors gezeigt wurde: Finanzmarktanalyse - Neue Ansätze aus der Chaosforschung, (Uhlig, 1999), Verlage: Vahlen, Helbing + Lichtenhahn. Mehr über Marktmodelle findet man oben unter dem gleichnamigen Link.

Wer sich für Wirtschaftsphysik interessiert, sei an eine Seite der Universität Fribourg, Schweiz, verwiesen: www.unifr.ch/econophysics/ eine Seite in englischer Sprache. An der Uni Ulm gibt es sogar einen Studiengang Wirtschaftsphysik. Vorlesungsangebote zu diesem Thema findet man auch an den Unis Mainz und Paderborn.

Leider sind auch physikalische Modelle nicht ideal geeignet, um das Verhalten von Märkten abzubilden, weil lebendige Systeme Eigenschaften besitzen, die man in der Physik nicht kennt, wie: Austausch von Information, Fähigkeit zur Anpassung, oder Massenphänomene (Herdentrieb), die alle auch Marktentwicklungen mit bestimmen. In der Biologie könnte man demnach besser geeignete Modelle finden und tatsächlich meinen einige Forscher, dort fündig geworden zu sein, siehe unten bei 'Modelle aus der Biologie'.

Behavioral Finance

Kritik an der Finanztheorie kommt nicht nur aus den Naturwissenschaften. Daniel Kahneman und Amos Tversky, zwei Wirtschaftswissenschaftler, konnten zeigen, dass die Annahme der Finanztheorie, Marktteilnehmer verhielten sich rational, unhaltbar ist. Tatsächlich entscheiden sich Marktteilnehmer instinktiv falsch, d.h. zu ihrem Nachteil, indem sie beispielsweise an verlustreichen Investitionen zu lange festhalten und gewinnbringende zu schnell wieder abstoßen. Anstatt mit kleineren Einsätzen zu handeln, wenn sie bemerken, dass sie Verluste erleiden, erhöhen sie diese noch. Von dieser Art gibt es noch viele weitere Widersprüche zur Theorie. Der neue, von Kahneman und Tversky begründete Forschungsansatz wird 'Behavioral Finance' genannt. Das Ziel dieser Forschung ist, mehr über Motivation und Verhalten der Marktteilnehmer zu lernen. Es ist eine Teildisziplin der empirischen Sozialforschung, die inzwischen sogar an den Wirtschaftsfakultäten von Universitäten gelehrt wird. Besonders aktiv ist in Deutschland die Behavioral Finance Group der Uni Mannheim, die in der Reihe 'Forschung für die Praxis' viele interessante Publikationen zu diesem Fachbebiet herausgegeben hat.

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